Erzähl ein Märchen-Tag

Vorwörtchen

Die PARTEI Bochum gibt Ihnen ihr Ehrenwort – wir wiederholen – ihr Ehrenwort, dass es in keiner anderen Berufsgruppe einen vergleichbaren Feiertag gibt, der eine ähnliche Faszination auf die Gewerktreibenden ausübt, wie der „Erzähl ein Märchen Tag“ für die Politikschaffenden.

Denn im Zusammenhang mit Märchen ist es doch vor allem der Berufsstand des geschäftigen Vollblutpolitikers, der für den wiederkäuenden Wähler den Eindruck erweckt, an mindestens 370 Tagen im Jahr Geschichten zu erzählen, deren Wahrheitsgehalt häufig Rückschlüsse auf die Schriftensammlung zweier altbekannter deutscher Märchenonkel nahelegt.

Märchen von Einer, die auszog das Regieren zu lernen

VON BJÖRN BENJAMIN1

Es war einmal ein Demokratie-Mütterchen, das hatte zwei Politikerinnen als Zöglinge, davon tat die Älteste stets geschäftig, engagiert und versprach den BürgerX immer das Blaue vom Himmel. Die Jüngste aber fand das schlimm (echt schlimm!), wollte das nicht begreifen und lernen. Wenn sie von den WählerX wahrgenommen wurde, sprachen die: „Mit der wird die Demokratie noch ihre Last haben.“ Wenn nun etwas zu regieren war, so musste es die älteste Politikerin allzeit ausrichten. Hieß sie aber die Demokratie noch schnell oder gar unter Druck etwas entscheiden und der Beschluss musste vorher noch durch einen Lobbyisten oder sonst einen neoliberalen Systemparasiten abgesegnet werden, dann nahm sie deren Meinung an und behauptete: „Ich regiere hier.“ Oder wenn sie im Rathaus Reden vor ihrer schnöden Ratsfraktion hielt, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Älteste und die anderen Ratsmitglieder: „Wir regieren hier!“ Die Jüngste saß auf der Hinterbank und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. „Immer sagen sie: ‚Wir regieren hier, wir regieren hier!‘ Ich regier‘ nicht. Das wird wohl eine Kunst sein, von der ich nichts verstehe.“ Nun geschah es, dass die Demokratie zu ihrer kleinen PARTEI-Politikerin sprach: „Hör du Fraktionslose dort, du wirst bedeutender und versammelst mehr Leute hinter dir, du musst auch etwas lernen, womit du deinen Beitrag leistest. Siehst du nicht, wie deine Schwester sich Mühe gibt? Aber mit dir ist Mehrheitsfindung und Ausschussarbeit vergebens.“ – „Ei, Mutter“, antwortete sie, „ich will gerne etwas lernen; ja, wenn’s anginge, so möchte ich mich aufmachen, das Regieren zu lernen. Davon verstehe ich noch gar nichts.“ Die Älteste lachte, als sie das hörte und dachte bei sich: Du lieber Gott, was ist meine Schwester eine Dummbärtige, aus der wird ihr Lebtag nichts. Was ein Häkchen werden will, muss sich beizeiten krümmen. Die Demokratie seufzte und antwortete ihr: „Das Regieren kannst du theoretisch lernen, aber Ruhm und Ehre wirst du damit nicht verdienen.“

Bald darauf kam ein Bürgermeister ins Haus der Demokratie. Da klagte ihm die Demokratie wie ihre jüngste Sprosse in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, sie wüsste nichts und lernte nichts. „Denkt Euch, als ich sie fragte, womit sie ihr Brot verdienen wolle, hat sie gar verlangt das Regieren zu lernen.“ – „Wenn’s weiter nichts ist,“ antwortete der Bürgermeister, „das kann sie bei mir lernen. Lasst sie nur in meine Ratsfraktion, wir werden sie schon indoktrinieren.“ Die Demokratie war zufrieden, weil sie dachte: Da wird das Mädchen doch ein wenig konformistischer. Der Bürgermeister nahm sie also mit ins Rathaus und sie musste niedere politische Dienste verrichten und Reden halten. Nach ein paar Tagen holte er sie (voll gefressen) von ihrem Mittagstisch weg, hieß sie ans Rednerpult und aus dem Stegreif eine Rede halten. Du sollst schon lernen, was Regieren ist, dachte er, ging heimlich voraus, und als das Mädchen oben am Rednerpult stand und das Wort ergreifen wollte, fingen die RatsmitgliederX an zu murmeln: „Was wollt ihr beschließen?“, aber die Ratsmitglieder einigten sich einfach nicht.

„Gebt Antwort,“ rief das Mädchen, „oder macht, dass ihr fortkommt, ihr habt hier im Rat sonst nichts zu schaffen!“ Der Bürgermeister traf jedoch auch keine Entscheidung, damit das Mädchen glauben sollte, es könne alles allein entscheiden. Da rief das Mädchen zum zweiten Mal: „Was wollt ihr eigentlich hier? Sprecht, wenn ihr etwas ändern wollt oder ich jage euch aus dem Rathaus. Der Bürgermeister dachte: Das wird so schlimm nicht gemeint sein, gab keinen Standpunkt von sich und wand sich, als ob er ein Aal wäre. Da rief das Mädchen ihn und den Rat zum dritten Mal an, und als das auch vergeblich war, ließ sie den Sitzungssaal wegen fehlendem Entscheidungswillen der Ratsmitglieder räumen, dass die Ratsmitglieder in den Umfragen um mindestens 50 Prozentpunkte hinabfielen und manche nicht mal mehr gewählt wurden. Darauf hielt sie vor den leeren Rängen eine sehr gute Rede und ging wieder in ihr Büro.

Die Sekretärin des Bürgermeisters, die rein zufällig auch seine Frau war, wartete in seinem Vorzimmer und wunderte sich, warum ihr Mann nicht wieder in sein Büro kommen wollte. Da traf sie endlich eine Entscheidung, ging ins Büro der PARTEI-Politikerin und fragte: „Weißt du wo mein Mann und die anderen RatsmitgliederX geblieben sind? Sie saßen noch im Sitzungssaal, bevor du hineingegangen bist.“- „Nein,“ antwortete das Mädchen, „im Raatssaal saß nur ein Haufen Leute, und da der keine vernünftigen Entscheidungen treffen konnte und sich nicht festlegen wollte, so habe ich sie für Spitzbuben gehalten und aus dem Ratssaal werfen lassen. Geht nur in den Ratskeller oder zur Bude an der Ecke des Ratsplatzes und schaut, ob es die RatsmitgliederX sind, die dort gemeinsam ein Bierchen heben, es sollte mir leidtun.“

Die Ehefrau-Sekretärin sprang auf und fand den Bürgermeister, der mit einer Flasche Bier in einer Ecke lag und jammerte und sich erbrochen hatte. Sie trug ihn in sein Büro und rief mit lautem Geschrei das Demokratie-Mütterchen an. „Euer Mädchen,“ rief sie, „hat ein großes Unglück angerichtet. Meinen Chef-Mann, den Bürgermeister, hat sie aus dem Rathaus gejagt, dass er zurücktreten musste und sich beim Frustsaufen erbrochen hat.“ Die Demokratie erschrak, kam ins Büro der jungen Politikerin und schalt das Mädchen. „Was sind das für impertinente Streiche, die muss dir der Widerstandsgeist eingegeben haben.“ – „Mutter,“ antwortete sie, „hört mich nur an, ich bin ganz unschuldig. Sie standen da in der Mittagszeit, wie welche, die sich auf nichts festlegen können. Ich wusste nicht, wer sie waren und habe sie dreimal ermahnt, ihre Meinung zu sagen oder eine Entscheidung zu treffen.“ – „Ach,“ sprach die Demokratie, „mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir aus den Augen, ich will dich nicht mehr ansehen.“ – „Ja, Mutter, recht gerne, wartet nur bis wieder Wahlkampf ist, da werde ich ausziehen und das Regieren lernen, so verstehe ich doch eine Kunst, die mich ernähren kann.“ – „Ach, mach doch was du willst,“ sprach die Mutter, „mir ist alles einerlei. Da hast du etwas Schmiergeld von einem ,Spender‘, damit geh‘ in die weite Welt und sage keinem Menschen, wo du her bist, woher das Geld ist und dass du aus der Demokratie entstanden bist, denn ich muss mich deiner schämen.“ – „Ja Mutter, wie ihr‘s haben wollt, wenn ihr nicht mehr verlangt, das kann ich leicht befolgen.“

Als nun der Wahlkampf anbrach, steckte das Mädchen das Bestechungsgeld in ihren Aktenkoffer, ging hinaus vor den Landtag und sprach immer wieder: „Ach, wenn ich doch regierte. Ach, wenn ich doch regierte.“

Da kam ein MdL heran, die hörte das Gespräch, welches das Mädchen mit sich selber führte, und als sie im Landtag waren, dass man den Plenarsaal sehen konnte, sagte das MdL zu ihr: „Siehst du die Tür des Plenarsaals, wo am Ende jedes Tages die geknickten IdealistX rauskommen? Setz dich bei der Debatte nur nahe an den Ausgang und warte, bis die Sitzung zu Ende ist, so wirst du schon lernen, was Regieren ist.“ – „Wenn weiter nichts dazu gehört,“ antwortete das Mädchen, „das ist leicht getan; lerne ich aber so geschwind das Regieren, so sollst du mein Schmiergeld haben; komm nur nach der Sitzung wieder zu mir.“ Da ging das Mädchen zum Ausgang und setzte sich daneben und weil ihr schon vor der Mittagspause langweilig wurde, holte sie ihr Satiremagazin heraus.

Aber als die Debatte nach der Mittagspause wieder von Neuem anfing, waren die Mundwinkel der IdealistX ins Suppenkoma gefallen und sie hörte einige Gähnen. Da dachte sie: Dir ist trotz deines Satireheftes schon so langweilig, wie soll es erst den IdealistX im Raum gehen? Und weil sie mitleidig war, ging sie in den Vorraum, legte dort ihr Heft auf den Kopierer und verteilte die Kopien heimlich an die IdealistX, dass sie sich daran erfreuen sollten. Aber sie saßen da und lasen es nicht und es kamen beim Hören der Debatten Tränen in ihre Augen. Da sprach sie: „Nehmt euch in Acht, sonst nehme ich euch die Kopien wieder weg.“ Die IdealistX aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Tränen rinnen. Da ward sie bös‘ und sprach: „Wenn ihr nicht lachen wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch weinen,“ und nahm ihnen nach der Reihe die Kopien wieder weg. Dann setzte sie sich wieder an ihre Lektüre und las fröhlich weiter. Und nach der Landtagssitzung, da kam das MdL zu ihr, wollte das Schwarzgeld haben und sprach: „Nun, weißt du, was Regieren ist?“ – „Nein,“ antwortete sie, „woher sollte ich es wissen? Die IdealistX haben das Maul nicht aufgetan und waren so borniert, dass sie den politischen Witz nicht kennen wollten und lieber ihre Tränen rinnen ließen.“ Da sah das MdL, dass sie das Schwarzgeld heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: „So eine ist mir noch nicht vorgekommen.“

Das Mädchen ging weiter seines Wegs und fing wieder an, vor sich hin zu reden: „Ach, wenn ich nur regierte! Ach, wenn ich nur regierte!“ Das hörte ein Journalist, der hinter ihr her schritt, und fragte: „Wer bist du?“ – „Ich weiß nicht,“ antwortete das Mädchen. Der Journalist fragte weiter: „Wo kommst du her?“ – „Ich weiß es nicht.“ – „Wer ist deine Mutter?“ – „Das darf ich nicht sagen.“ – „Was brummst du so beständig in deinen Damenbart hinein?“ – „Ei,“ antwortete das Mädchen, „ich wollte regieren, aber kein PolitikerX kann mich’s lehren.“ – „Ach, lass dein satirisches Geschwätz,“ sprach der Journalist. „Komm, geh mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe.“ Das Mädchen ging mit dem Journalisten, und abends gelangten sie zu einem Berliner Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach sie beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „Wenn ich nur regierte! Wenn ich nur regierte.“

Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: Wenn’s dich danach lüstet, dazu sollte hier Gelegenheit sein.“ – „Ach, schweig stille,“ sprach die Wirtsfrau, „so manche Vorwitzige hat schon ihre politische Karriere eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die lustigen Witze, wenn die niemand mehr hören sollte.“

Das Mädchen aber sagte: „Wenn‘s noch so schwer wäre, ich will‘s einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.“ Sie ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon entfernt stände ein verwünschter Bundestag, wo eine wohl lernen könnte, was Regieren wäre, wenn sie nur 3 Debatten darin überstehen würde. Der Bundespräsident hatte der, die es wagen wollte, seinen Sohn zum Mann versprochen, und der wäre der schönste Jungmann, welchen die Sonne beschien; in den unterirdischen Gewölben des Bundestags steckten auch Goldreserven, die würde sie dann bekommen. Viele wären schon hinein, aber noch niemand mit seinem Gewissen herausgekommen. Da ging das Mädchen zum Bundespräsidenten und sprach: „Wenn’s erlaubt wäre, so wollte ich wohl an drei Debatten im Bundestag teilnehmen.“

Der Bundespräsident sah sie an, und weil sie ihm gefiel, sprach er: „Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und die darfst du mit in den Bundestag nehmen.“ Da antwortete sie: „So bitt ich um ein Büro, einen Telefonanschluss und einen Computer mit Internetzugang.“ Der Bundespräsident gewährte ihr den Wunsch und machte seinen Einfluss bei den JournalistX und im Bundestag geltend. Kurz bevor der Plenarsaal geöffnet werden sollte, ging das Mädchen in ihr Büro hinauf, nahm das Telefon, sprach mit ihrer sehr guten Partei Die PARTEI, setzte sich an den Rechner und erstellte eine Pressemitteilung. „Ach, wenn ich nur regierte,“ sprach sie, „aber hier werde ich’s auch nicht lernen.“ Gegen Mittag wollte sie ihre Rede noch etwas umformulieren, und wie sie so den Redefluss übte, da schrie’s plötzlich aus einer Ecke: „Klimper, Klimper, Klüngelüng! Was wir uns langweilen!“ – „Ihr Narren,“ rief sie, „was schreit ihr? Wenn euch langweilig ist, kommt, setzt euch an meinen Rechner und schaut, was in der Welt so alles los ist.“ Und wie sie das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Kassen in einem gewaltigen Sprung herbei, stellten sich ihr zu beiden Seiten und versuchten, es ihr mit ihren dunklen Summen von internationalen Unternehmen schwindelig werden zu lassen.

Über ein Weilchen, als sie sich informiert hatten, sprachen sie: „Kameradin, wollen wir eine politische Rolle spielen?“ – „Warum nicht?“, antwortete sie, „aber zeigt einmal eure Gelder her.“ Da streckten sie ihre Schubladen aus. „Ei,“ sagte sie, „was habt ihr Schwarzes Geld darin. Wartet, da muss ich euch erst eine Spendenquittung ausstellen.“ Damit packte sie die beiden bei den Kassenschubladen und sprach: „Euch habe ich auf die Kapitalgrundlage gesehen, da vergeht mir die Lust eine politische Rolle zu spielen,“ verarbeitete sie in der Müllpresse der Kantine zu kleinen Päckchen und warf sie hinaus in die Spree. Als sie aber die Zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder an ihren Rechner setzen wollte, da kamen aus allen Ecken schwarze Kassen und schwarze Koffer mit Tonnen von Schwarzgeld, immer mehr und mehr, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Die klimperten gräulich, hackten ihren Twitter-Account, zerrten am Internet-Kabel des Computers und wollten ihn ausmachen. Das sah sie ein Weilchen ruhig mit an, als es ihr aber zu arg ward, fasste sie ihr Telefon, griff zum Hörer und sprach: „Fort mit dir, du Gesindel,“ und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die andern schlug sie tot und warf sie hinaus in den Fluss. Als sie wiedergekommen war, fuhr sie ihren neu verkabelten Rechner hoch und recherchierte weiter im Netz. Und als sie so saß, wollten ihr die Lippen nicht länger stumm bleiben und sie bekam Lust zu debattieren. Da blickte sie um sich und sah in der Ecke ein großes Rednerpult. „Das ist mir eben recht,“ sprach sie, und stellte sich daran.

Als sie aber das Plenum ansprechen wollte, so fing das Pult von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Bundestag herum. „Recht so,“ sprach sie, „nur besser zu.“ Da rollte das Rednerpult fort, als wären sechs Staatskarossen vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab: auf einmal, hopp hopp! fiel es um, das Unterste zuoberst, dass das Pult wie ein Berg auf ihr lag. Aber sie schleuderte Manuskripte und Notizen in die Höhe, stand auf und sagte: „Nun mag fahren, wer Lust hat,“ legte ihren Kopf auf die Tastatur in ihrem Büro und schlief, bis zum nächsten Tag durch.

Am nächsten Morgen kam der Bundespräsident zu ihrem Büro, und als er sie da auf dem Schreibtisch liegen sah, meinte er, die bösen Geister hätten sie umgebracht und sie wäre tot. Da sprach er: „Es ist doch schade um den schönen Menschen.“ Das hörte das Mädchen, richtete sich auf und sprach: „So weit ist’s noch nicht!“ Da verwunderte sich der Bundespräsident, freute sich aber, und fragte, wie es ihr ergangen wäre. „Recht gut,“ antwortete sie, „ein Tag wäre ‚rum, die zwei andern werden auch herumgehen.“ Als sie zum Wirt kam, da machte der große Augen. „Ich dachte nicht,“ sprach er, „dass ich dich lebendig wiedersehen würde; hast du nun gelernt, was Regieren ist?“ – „Nein,“ sagte sie, „es ist alles vergeblich. Wenn mir’s nur einer sagen könnte!“ Den zweiten Debattentag ging sie abermals hinauf ins alte Parlament, setzte sich auf die Hinterbank und fing ihr altes Lied wieder an: „Wenn ich nur regierte!“

Wie die Mittagszeit herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter im gesamten Bundestag hören; erst sachte, dann immer stärker, dann war’s ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Parlamentarier die Kuppel herab und fiel vor ihr hin. „Heda!“ rief sie, „noch ein Halber gehört dazu, das ist zu wenig.“ Da ging der Lärm von Frischem an, es tobte und heulte und fiel die andere Hälfte auch herab. „Wart’,“ sprach sie, „ich will erst ein paar wichtige Gedankengänge und Positionen erläutern.“ Wie sie das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und saß da ein alter, weißer Mann auf ihrem Platz. „So haben wir nicht gewettet,“ sprach das Mädchen, „der Platz ist mein.“ Der alte weiße Cis-Mann wollte sie wegdrängen, aber das Mädchen ließ sich’s nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf ihren Platz. Da fielen noch mehr Cis-Männer herab, einer nach dem andern, die holten 10 Gefolgsmänner und zwei Parteiposten, setzten auf und spielten Seilschaft. Das Mädchen bekam auch Lust und fragte: „Hört ihr, kann ich mit dabei sein?“ – „Ja, wenn du Schwarzgeld hast.“ – „Schwarzgeld genug,“ antwortete sie, „aber eure Gefolgsmänner sind gar nicht weiblich.“ Da nahm sie die Namen der Gefolgsmänner, und erstellte eine Verfassungsklage zur fehlenden Einhaltung der Gleichstellung „So, jetzt werden mehr Frauen nachkommen,“ sprach sie, „heida! Nun geht’s lustig!“ Sie spielte bei der Seilschaft mit und verlor etwas von ihrem Schwarzgeld, als es aber zwölf schlug, war alles vor ihren Augen in die Kantine verschwunden. Dann legte sie sich nach ihrem Mittagessen vor ihrem Rechner nieder und schlief ruhig ein.

Am andern Morgen kam der Bundespräsident und wollte sich erkundigen. „Wie ist‘s dir diesmal ergangen?“ fragte er. „Ich habe Seilschaft gespielt,“ antwortete sie, „und ein paar Heller verloren.“ – „Hast du denn nicht regiert?“ – „Ei was,“ sprach sie, „lustig hab ich mich gemacht. Wenn ich nur wüsste, was Regieren wäre!“

Bei der dritten Bundestagsdebatte setzte sie sich wieder auf die Hinterbank und sprach ganz verdrießlich: „Wenn ich nur regierte!“ Als die Debatte fortschritt, kamen sechs alte Cis- Männer und brachten einen Gesetzesentwurf ein. Da sprach sie: „Ha, ha, das passt gewiss zu meinem Streitpunkt, den ich erst vor ein paar Tagen ausgearbeitet habe,“ lockte mit dem Finger und rief, „komm, Streitpünktchen, komm!“ Sie stellten den Gesetzesentwurf aus dem Kabinett vor, sie aber ging hinzu und las zwischen den Zeilen: Da stand die Einwirkung eines LobbyistX drin. Sie prüfte den gesamten Text, aber der ursprüngliche Entwurf war total verwässert. „Wart’,“ sprach sie, „ich will den Entwurf ein bisschen aufpeppen,“ ging an den Rechner, sammelte Informationen und fügte sie in den Entwurf ein, aber der Entwurf blieb schmierig und ungerecht.

Nun löschte sie den gesamten Text aus dem Entwurf und fügte ihre eigenen Vorstellungen aus der PARTEI-Arbeit ein. Als auch das im Entscheidungsprozess nichts helfen wollte, fiel ihr ein, „wenn mehrere sich zusammen tun, so bekommt ihre Stimme mehr Gewicht.“ So redete sie mit der gesamten Opposition, stellte ihre ursprünglich erarbeiteten Streitpunkte dar und legte ihren neu verfassten Entwurf vor. Über ein Weilchen ward die Opposition mit dem neuen Entwurf warm und fing an sich zu regen. Da sprach das Mädchen: „Siehst du, Gesetzesentwurf, hätt’ ich dich nicht angepasst!“ Das Kabinett aber rief: „Jetzt wollen wir dich mundtot machen.“ – „Was,“ sagte sie, „ist das mein Dank? Gleich soll mein Entwurf in die Urabstimmung gehen.“ hob ihren Entwurf auf und stellte ihn zum Volksentscheid ins Netz; da kamen die sechs alten Cis-Männer und trugen ihren korrumpierten Gesetzesentwurf wieder fort. „Ich kann nicht regieren,“ sagte sie, „hier lerne ich’s mein Lebtag nicht.“

Da trat Lord Kacke herein, der war mächtiger als alle anderen, und sah fürchterlich selbstverliebt aus; er war aber alt und ohne Ideale und hatte den mittelklassigen Charme eines Gebrauchtwagenhändlers. „Oh, du kleine Göre,“ rief er, „nun sollst du bald lernen, was Regieren ist, denn du sollst dein Mandat verlieren.“ – „Nicht so schnell,“ antwortete das Mädchen, „soll ich mein Mandat verlieren, so muss ich auch dabei sein.“ – „Dich will ich schon packen,“ sprach der Unhold. – „Sachte, sachte, mach mal nicht so auf Graf Koks von der Gasanstalt; so mächtig wie du bin ich auch, und wohl noch einflussreicher.“ – „Das wollen wir sehn‘,“ sprach der Alte, „bist du mächtiger als ich, so will ich dich gehen lassen; komm, wir wollen’s versuchen.“ Da führte er sie durch dunkle Gänge zu einem Pöbel mit Fackeln und Mistgabeln, nahm seine Exekutive und schlug die Hälfte des Mobs mit einem Schlag nieder. „Das kann ich noch besser,“ sprach das Mädchen, und ging zur verbliebenen Hälfte des Aufstands. Der Alte stellte sich nebenhin und wollte zusehen, und seine Umfragewerte gingen dabei zügig hinab. Da bemühte das Mädchen die Judikative, stellte das Bundesverfassungsgericht neben den Pöbel und stürzte den Alten mitten hinein. „Nun hab ich dich,“ sprach das Mädchen, „jetzt ist das Mandat verlieren an dir.“ Dann verfasste sie eine Pressemitteilung und schlug auf den Alten los, bis er wimmerte und bat, sie möchte aufhören, er wolle ihr Einfluss auf den Staatshaushalt geben. Das Mädchen zog die Klage vorm Verfassungsgericht zurück und ließ ihn vorgehen. Der Alte führte sie wieder in den Bundestag zurück und zeigte ihr in einem Keller drei Kästen voll Goldreserven. „Davon,“ sprach er, „ist ein Teil den Armen, der andere dem Bundespräsidenten, der dritte dein.“

Indem schlug es Zwölf, und der Regierungschef verschwand mit all seinem Mittelklasseglanz, also dass das Mädchen mit einem Mal im Finstern stand. „Ich werde mir doch heraushelfen können,“ sprach sie, tappte herum, fand den Weg hoch in die Kammer und schlief in ihrem Büro mit dem Kopf auf der Computertastatur ein. Am andern Morgen kam der Bundespräsident in ihr Büro und sagte: „Nun wirst du gelernt haben, was Regieren ist?“ – „Nein,“ antwortete sie, „was ist’s nur? Ein schlechter Gesetzesentwurf war da, und ein alter Cis-Mann ist gekommen, der hat mir da unten die Währungsreserven gezeigt, aber was Regieren ist, hat mir keiner gesagt.“ Da sprach der Bundespräsident: „Du hast den Bundestag erlöst und sollst meinen Sohn heiraten.“ – „Das ist alles recht gut,“ antwortete sie, „aber ich weiß noch immer nicht, was Regieren ist.“

Da ward das Staatsgold heraufgebracht und Hochzeit gefeiert, aber die junge (sehr gute) PARTEI-Vorsitzende, so lieb sie ihren Gemahl auch hatte und so vergnügt sie war, sagte doch immer: „Wenn ich nur regierte! Wenn ich nur regierte!“ Das verdross ihren Ehemann. Bis ihre Reinigungskraft aus der Schattenwirtschaft schließlich sprach: „Ich will Abhilfe schaffen, das Regieren soll sie schon lernen.“ Mit diesen Worten ging sie hinaus zu einer schlimmen Zeitung, die an der Spree entsprang und ließ sich einen ganzen Eimer voll billiger Polemik geben. Nachts, als die junge PARTEI-Vorsitzende schlief, musste ihr Gemahl die Decke wegziehen und den Eimer mit der Polemik voller Plattitüden über sie herschütten, so dass alle Zuhörer in ihren niederen Instinkten bestätigt wurden und anfingen zu johlen und zu klatschen, graue Anzüge mit hellblauem Hemd und roter Krawatte zu tragen und Plakate zu kleben. Da sprang sie ans Rednerpult und sprach: „Ach was, ich regiere, lieber Mann. Nun weiß ich, was Regieren ist.“

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann regieren sie noch heute, zwinkersmily!

[1] Nach dem Märchen „Märchen von einem, der Auszog das Fürchten zu lernen“ der Geschwister Grimm. top
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